Wer in Wien mit der U6 Richtung Floridsdorf fährt, erblickt sie im Vorbeifahren rechterhand. Die Müllverbrennungsanlage Spittelau im neunten Gemeindebezirk Alsergrund. Von diversen Aussichtspunkten in Wien ist auch der 125 Meter hohe Schlot, verschönert mit einer riesigen, goldenen Kugel, zu sehen. Ursprünglich erbaut wurde die Müllverbrennungsanlage mit angeschlossenem Fernheizkraftwerk zwischen 1966-1971. Die Wiener Bürger hatten wenig dafür übrig. Wer will so was schon in direkter Nachbarschaft? Zu den ersten Abnehmern der Fernwärme gehörte unter anderem das Allgemeine Krankenhaus. 1987 kam es am 15. Mai zu einem riesigen Brand.. Aus dem Gemeinderat gab es daraufhin Stimmen, die Müllverbrennungsanlage zu schließen. Aber es mangelte an Alternativen, ein Neubau an anderer Stelle kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage.
Hundertwasser sagte „nein“
Nun kam Friedensreich Hundertwasser ins Spiel. Man bat ihn, die Anlage (Fassade und Schlot) neu zu gestalten. Er lehnte ab. Doch so schnell gab sich der damalige Bürgermeister Wiens, Helmut Zilk, nicht mit dem „Nein“ zufrieden. Er blieb beharrlich. Hundertwasser bekam Bedenkzeit. Schließlich stimmte dieser zu, drei Argumente und die Zusage mehrerer Bedingungen gaben den Ausschlag:
- Die Zusage, die Anlage mit modernsten technischen Einrichtungen zur Emissionsreinigung auszurüsten.
- Der Umstand, dass eine Millionenstadt wie Wien selbst bei größten Anstrengungen Abfälle nicht gänzlich vermeiden kann.
- Und vor allem die Tatsache, dass die thermische Behandlung von Abfall die umweltfreundlichste Methode der Entsorgung ist.
Die Umgestaltung übernahm Hundertwasser nun unter der Bedingung, dass mit der Wiederinbetriebnahme der thermischen Abfallbehandlungsanlage am Donaukanal ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Wiener Luft und zur Vernichtung der Schadstoffe im Abfall geleistet wird. Daher wurde die Müllverbrennungsanlage im Zuge der Renovierung mit modernsten Raumgasreinigungsanlagen Europas ausgestattet.
Die Argumente und Bedingungen findet man hier:
Hundertwasser arbeitete für den Auftrag ehrenamtlich - ohne Honorar und Kostenrückerstattung.
Statt ins Museum in die Müllverbrennungsanlage
Ich habe bei meinen Wienbesuchen schon einige Male im neunten Bezirk gewohnt und jedes Mal die „Spitt“ von allen Seiten fotografiert und immer wieder umrundet. Ich finde sie wunderschön. Deshalb war es auch naheliegend, sie einmal innen zu besichtigen. Es gibt öffentliche Führungen, die man auf der Website von Wiener Energie (wienenergie.at) buchen kann. Es lohnt sich sehr, so viel sei hier verraten. Dahinter steckt der Gedanke, als Multiplikator zu wirken. Mich hat es sehr beeindruckt. Anschaulich wird vieles erklärt, so zum Beispiel, dass auch beim Verbrennen von Müll immer ein Rest bleibt. Von 100 % Abfallvolumen bleiben circa 8-10 % Restvolumen. Von einer Tonne bleiben 237 kg Reststoffen übrig. Davon sind 220 kg Schlacke und 16 kg Asche. Daraus entsteht dann Schlackenbeton, der in Österreich auf die Mülldeponie kommt. Übrig bleibt der sogenannte Filterkuchen. Dieser wird übrigens in Deutschland in einer Untertagedeponie endgelagert.
Verboten: den VW Käfer in der Müllverbrennungsanlage entsorgen
Zu den kuriosesten Abfällen, die bislang hier entsorgt wurden, gehörte eine halbe Kuh und ein VW Käfer. Beides selbstverständlich nicht erlaubt, aber die Besitzer wollten wohl Geld für die Entsorgung sparen. Der Käfer musste mit einer Flex erst zerschnitten werden für die Verbrennung, der Fahrzeughalter wurde ausfindig gemacht und durfte für sein Vergehen einen sechsstelligen damals noch Schillingbetrag berappen.
Bei der Führung kommt man auch aufs Dach, wo Bienen gezüchtet werden (kein Witz!) und man das berühmte Kapperl aus der Nähe betrachten kann. Und man erfährt, dass auf dem Schlot Turmfalken nisten. Ein Falke hat sich eines schönen Tages bis nach unten verirrt, und durfte dann mit einem Mitarbeiter mit dem Fahrstuhl wieder zu seinem Domizil fahren. Das ist allerdings schon ein paar Jahre her.
Schwergewichtige Bayern, inspiriertes Japan
Zum Abschluss noch eine Anekdote: Zu Beginn der Führung kommt man zu den Müllwaagen, die LKWs fahren drauf und lassen ihren Müll wiegen. Zur Erheiterung darf auch jede Besuchergruppe auf die Waage steigen, um zu schauen, was sie an Gewicht mitbringt. Die schwerste Gruppe bestand aus 31 Männern, die sage und schreibe 4300 kg auf die Waage brachten. Die Guides lassen es sich an dieser Stelle nicht nehmen, zu erwähnen, dass die Gruppe aus dem „Lieblingsnachbarland“ und dort aus dem Bundesland Bayern kam.
Apropos Freundschaft. Es gibt eine Partneranlage, die auch Hundertwasser gestaltet hat. Sie befindet sich in Japan auf der aufgeschütteten Insel Maishima vor Osaka, wurde zwischen 1997 und 2001 erbaut und hat ein ähnliches Aussehen. Hundertwasser hat die Fertigstellung dieser Anlage allerdings nicht mehr erlebt. Er starb im Jahr 2000.