Fotografien: Alexandra Freund-Gobs
Bei meiner Arbeit als Texter dreht sich vieles um das Thema Energiegewinnung. Und in meinen Blogartikeln erzähle ich gerne von Orten, die es sich zu besuchen lohnt. Heute schreibe ich über einen Besuch im Kraftwerk Simmering und kann wunderbar beides verknüpfen.
Seitdem ich die Müllverbrennungsanlage in Wien besichtigt habe, will ich auch das Kraftwerk Simmering anschauen. Dazu habe ich nun die Gelegenheit. Auf der Website von Wien Energie habe ich mich für eine Führung angemeldet. 20 Personen je Termin können teilnehmen, ich ergattere den letzten Platz am einzigen Termin, der für mich im Oktober in Frage kommt. Bingo. Wer sich gleich für eine Führung anmelden mag:
https://www.wienenergie.at/privat/erleben/standorte/kraftwerk-simmering/
Über die Gasometer zum Kraftwerk
Für eine Besichtigung im Kraftwerk gilt es, einige Regeln zu beachten, darüber wird man im Vorfeld ausführlich informiert. Lange Hosen und festes Schuhwerk gehören dazu. Von der Innenstadt aus brauche ich etwa 50 Minuten.
Wie kommt man zum Kraftwerk Simmering? Man nimmt die U3 bis zur Station Gasometer, dann fährt man mit der Buslinie 72A bis zur Station Kraftwerk Simmering. Das Eingangstor befindet sich gegenüber.
An der Haltestelle Gasometer in Simmering steige ich aus der U und will eigentlich gleich nach dem Bus schauen, der mich das letzte Stück zum Kraftwerk bringt. Aber ich bin so fasziniert von den vier ehemaligen Gasbehältern aus dem Jahr 1896, von denen die Fassade erhalten blieb, dass ich erst mal eine kleine Spazierrunde drehe und den Bus verpasse.
Kein pompöser Eingang, dafür eine exklusive Führung
Als der nächste Bus kommt, ist die Zeit schon etwas knapp und ich gerate während der kurzen Busfahrt eindeutig in Stress. Geht es sich noch aus? In meiner Vorstellung ist der Eingang vom Kraftwerk Simmering ein pompöses Entrée. Die Realität holt mich jedoch auf den Boden der Tatsachen. Hier wird Energie erzeugt und verteilt, nicht mit Pomp und Gloria zur Schau gestellt. Die Station ist unscheinbar, weit entfernt vom hippen Wiener Innenstadt-Leben. Ich fühle mich ähnlich, wie bei meinem Besuch am Alberner Hafen, dem Outback näher als der Großstadt.
Ein gut gekleideter Mann steigt mit mir aus dem Bus, ansonsten ist hier nichts. Witzigerweise entpuppt er sich als ein Mitarbeiter von Wien Energie, der ebenso an der Führung teilnehmen wird. Der Eingang zum Kraftwerksgelände ist auch aus der Nähe betrachtet unscheinbar, eine abgeschlossene Pforte, ein Pförtnerhaus. Mehr nicht. Hier warte ich auf sein Geheiß. Der junge Mann entfernt sich und kehrt mit einem weiteren Mitarbeiter zurück. Doch... Wo? Ist? Die? Gruppe?
Die komplette angemeldete Gruppe (eine Schulklasse), so erfahre ich von den beiden, musste wegen Krankheit des Lehrers sehr kurzfristig absagen. Ich war die plus eins zu 20. Auf diese Weise komme ich zu einer sehr exklusiven Führung, kann Fragen über Fragen stellen und muss auch feststellen, dass ich von der logistischen Seite, eine Großstadt sicher und konstant mit Energie zu versorgen, so gar keine Ahnung habe.
Mit Helm und Sicherheitsschuhen ins Kraftwerk
Als erstes bekomme ich einen Helm, eine Schutzbrille, Ohrenschützer mit integrierten Lautsprechern und Sicherheitsschuhe. Dann geht es los in das Herzstück der Anlage.
Mir gefällt schon die lehrreiche Hinführung an das Thema Energiegewinnung und die Freude, auch Laien so an das Thema heranzuführen, dass man neugierig bleibt und nicht überfordert wird. Die erste Frage lautet: „Haben Sie selbst schon mal Strom erzeugt?“ Instinktiv beginne ich eine Kurbelbewegung mit den Armen und ernte dafür ein anerkennendes Nicken. Turbinen drehen sich und genau da wollen wir hin.
1902 lieferte das Kraftwerk Simmering erstmals Strom. Heute zählt es zu einer der modernsten Anlagen Europas. Rund 800.000 Haushalte und mehr als 7.000 Business-Kunden werden mit Strom versorgt. Zusätzlich liefert das Kraftwerk Simmering 1 Fernwärme für knapp 270.000 Haushalte. Eine moderne Gas- und Dampfturbinen-Anlage (GuD-Anlage) erzeugt die Energie. Die Turbinen schauen wir uns als erstes an. Schön ist der Vergleich zu alten Schaustücken, die ebenfalls zu besichtigen sind, denn der Aufbau der alten Turbinen ist den heutigen immer noch sehr ähnlich.
Mich persönlich interessieren die zwei Großwärmepumpen am Standort. Denn sie sorgen dafür, dass die bis dahin nicht genutzte Abwärme der Kraftwerksanlagen gezielt und umweltfreundlich in Fernwärme umgewandelt wird. Das Funktionsprinzip gleicht dem eines Kühlschranks – nur umgekehrt. Abwärme ist das gewünschte Endprodukt, die Wärmequelle ist das Kühlwasser der Kraftwerksanlage Simmering.
Nicht minder aufregend ist der Besuch des Biomassekraftwerks. Täglich rollen hier LKW-Ladungen voll mit Holzschnitzel an und versorgen das Kraftwerk. Wir laufen durch das Innere, während mir parallel die Wirkungsweise erklärt wird, und ich kann über eine Luke einen Blick in den Feuerkessel werfen.
Energie bereitzustellen bedeutet, für eine ganze Stadt mitzudenken
Doch es geht hier ja nicht nur darum, Menschen konstant und sicher mit Energie zu versorgen. Es geht auch darum, die Energie nachhaltig zur Verfügung zu stellen. Während beispielsweise am 24.12. abends grundsätzlich viel Energie benötigt wird, weil Familien gemeinsam das Festmenü genießen, sieht es am ersten Januar, dem „Katermorgen“ anders aus. Jetzt kommt kaum einer früh aus den Federn. Und unter der Woche wird vormittags insgesamt nicht so viel Energie benötigt, wie am frühen Nachmittag, wenn berufstätige Mütter oder Väter und Kinder heimkehren und Energiespitzen erzeugen.
Die Thermoskanne macht Energievorhaltung möglich
Auch deshalb wurde in Simmering 2013 ein bisher einzigartiger Wärmespeicher errichtet. Es handelt sich um zwei Speicherbehälter, die mit 45 Metern deutlich höher als ein zwölfgeschossiges Gebäude sind. Bis zu 150 Grad Celsius heißes Wasser wird dort unter hohem Druck gespeichert. Somit kommt es zu einer Entkopplung von Wärmeproduktion und -verbrauch. Das heißt, Wärme kann zeitlich unabhängig von der Erzeugung dann verbraucht werden, wenn sie benötigt wird. Die Speicher werden pro Jahr rund 2.200 Stunden be- und rund 2.200 Stunden entladen. Die jährlich gespeicherte und somit auch entnommene Wärmemenge beträgt rund 145.000 Megawattstunden. Das entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Wärmebedarf von 20.000 Haushalten.
Am Ende der Führung stelle ich mich noch direkt unter einen der weithin sichtbaren 200 Meter hohen Kamine und schaue nach oben. Eine optische Täuschung: Steht man mit den Füßen direkt am Turm, denkt man, er neigt sich über einen. Ich nehme es als leichte Verbeugung zum Abschied und gebe meine Schutzkleidung wieder zurück. Auf Wiedersehen Wien Energie, als nächstes nehme ich mir die Energie-Erlebniswelt vor.