Nein, Zugfahrten sind heutzutage auch in der ersten Klasse nicht (mehr) so komfortabel, wie es das im Böhmischen Prater abgelichtete Ausstellungsstück früherer Zeiten auf den ersten Blick vermuten lässt. Auf den zweiten Blick hängt auch dort die Gardine im dritten Fenster von rechts nicht mehr in ihren Angeln. Ich fahre trotzdem in aller Regel mit dem Zug nach Wien und ernte dafür regelmäßig ein "Was, du fährst mit dem Zug?" Begleitet wird die rhetorische Frage gerne mit Augenrollen, Stöhnen und oft einem mitleidigen Blick. Ja, bei meinen über 20 Bahnfahrten zwischen Oberschwaben und Wien in den letzten vier Jahren lief selten alles glatt und geplant. Während ich in der ersten Zeit noch erste Klasse mit Sitzplatzreservierung gebucht habe, lasse ich das mittlerweile, wenn ich alleine unterwegs bin, komplett bleiben. Erstens entfällt damit die lästige Wagennummernsuche vor dem Einsteigen oder, wenn man wieder die falsche Wagennummer beim Einstieg erwischt hat, das lästige Hinterherzerren des Koffers durch sämtliche Wagen in die falsche Richtung und wieder zurück. Man könnte mir jetzt vorwerfen, ich bin zu blöd, den richtigen Wagen mit dem richtigen Abteil und dem richtigen Platz auf Anhieb zu finden. Wer aber mit etwas Beobachtungsgabe ausgestattet ist und seinen Platz rechtzeitig einnimmt, wird feststellen, dass eine Vielzahl der Eingestiegenen erst in die eine Richtung und dann wie auf Kommando in die andere Richtung an einem vorbeischleichen. Zweitens fehlten auch schon erste Klasse Wagons, in denen ich einen Platz gebucht hatte, so dass ich erst kostbare Zeit mit der Suche des nicht vorhandenen Wagens, dann kostbare Zeit mit der Erkenntnis des Nichtvorhandenseins des Wagens und schließlich kostbare Zeit mit der Suche nach einer Zugbegleiterin/einem Zugbegleiter verbracht habe, mit deren oder dessen Hilfe ich dann einen neuen Platz zugeteilt bekam.
Wo liegen dann eigentlich die Vorteile, wird sich jetzt der geneigte Leser fragen? Bei Drittens. Denn drittens finde ich beim Alleinreisen immer irgendwo einen Platz, wenn ich nicht erst ewig viel Zeit mit der Suche nach einem bestimmten Platz verbringen muss. Und das wichtigste: Das Abenteuer Zug geht erst richtig los, wenn ich mich treiben lasse und schaue was passiert. Auf diese Weise hatte ich erst bei meinen letzten beiden Reisen nach Wien so lustige Erlebnisse, über die ich hier berichte.
Morgens um 9.20 Uhr in Ulm. Ich warte auf meinen Anschlusszug nach Salzburg. Neben mir stehen zwei Frauen. Beide schauen konzentriert zwischen ihrer ausgedruckten Fahrkarte und der Anzeigentafel hin und her. Auf der Anzeigentafel sind zwei Züge aufgelistet, da der eine aber erheblich Verspätung hat, wirkt die Anzeige etwas verwirrend, da der später aufgelistete Zug vor dem eigentlich früheren Zug eintreffen wird. Die beiden Frauen wenden sich an mich und fragen mich nach meinem Reiseziel. Meine Antwort "Wien" quittieren sie mit einem breiten Lächeln und den Worten "Super, dann sind sie jetzt bis Wien unsere Freundin." Die beiden haben eigentlich eine Sitzplatzreservierung, ich wie oben erwähnt, nicht. Sie beschließen kurzer Hand, auf ihre Reservierung zu verzichten, um sich voll und ganz an meine Fersen heften zu können. So gelangen wir gemeinsam in den Zug und finden doch tatsächlich für uns drei Plätze um einen Tisch gruppiert. Bis wir in Salzburg angekommen sind, sind wir bereits beste Freundinnen, tauschen unsere mitgebrachten Carepakete und plaudern uns durch alles mögliche. Ich erfahre, dass die beiden Schuhverkäuferinnen sind. Ich lerne auch, dass der Sinn, dass immer nur ein Schuh in einem Regal steht, der ist, dass dadurch der Verkäufer/die Verkäuferin zu Rate gezogen werden muss. Leider ist es aber auch so, dass beim Platzieren nur eines Schuhs dieser durch das Licht im Geschäft eine andere Farbe annimmt, als der Schuh, der in einem Karton schlummert. Und ich lerne, dass deshalb nun der eine oder andere Schuhladen deshalb inzwischen das Paar Schuhe komplett ausstellt. Das wiederum hat aber zur Folge, dass weniger Beratung von Nöten ist. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum ein lästiger Sicherheitschip im Schuh angebracht ist (oder in einem Kleidungsstück an unangenehmen Stellen? Der Grund ist einfach: Weil man dann endlich wieder auf den Rat und die Tat des Verkäufers/der Verkäuferin angewiesen ist. So ist das nämlich!
Eine zweite Anekdote erlebte ich bei der Rückfahrt im Regionalzug. Aus Faulheit setze ich mich oft im Regionalzug oft einfach in das Fahrradabteil. Neben mich setzte sich in dem Fall eine nette Seniorin über 70, auf dem Weg, ihre Enkelin zu "sitten". Sie hatte sich das 49 Euroticket frisch ergattert, das Ticket gab es erst seit einem Tag zu Kaufen. Wir saßen da und plauderten. Da lief ein fröhlich pfeifender Zugbegleiter durch den Wagen, ohne sich bei dieser Gelegenheit die Fahrkarten zeigen zu lassen. Ich bin mir sicher, er hätte seine Kontrolle schon noch gestartet, dem kam aber die nette Seniorin neben mir zuvor. "Wollen Sie nicht die Fahrkarten sehen?" fragte sie den Zugbegleiter erbost über einige Fahrräder und Köpfe hinweg. "Jetzt hab ich schon das 49 Euro Ticket und will es auch zeigen", fügte sie hinzu. Der Zugbegleiter kam zu uns rüber und sagte schmunzelnd: "Tja, wer nicht als die pedantischen Pensionäre könnte auf der Fahrkartenkontrolle bestehen!" Den Spruch nahm die Seniorin mit Humor und wollte auch gleich noch etwas über ihre Anschlusszüge erfahren. Der Zugbegleiter hatte Mühe, die Informationen auf die Schnelle ausfindig zu machen, da es "hierfür eine neue App gibt, die es noch zu erlernen gilt". Die schließlich doch gefundenen Informationen schrieb die Seniorin fein säuberlich mit akribisch geschwungener Schrift in ein kleines Notizbüchlein. Der Zugbegleiter musste sich, da die Dame nicht so gut hören konnte, solange neben die Dame setzen.