Vor längerer Zeit hatte ich einen Dressurreiter kennengelernt, der aufgrund dreier Bandscheibenvorfälle in Bad Saulgau in ambulanter Reha war. Die Dressurreiterei hatte er aufgeben müssen, die Liebe zu den Pferden war geblieben. Er war eine imposante Persönlichkeit und ließ sich nicht entmutigen, war immer guter Laune und beeindruckte mich aufgrund seiner aufrechten und gelassenen Art, sich wieder fit zu machen. Er sagte mir damals, wenn ich je nach Wien komme, solle ich unbedingt die Spanische Hofreitschule besuchen. Wer hätte gedacht, dass ich nicht lange nach der Begegnung tatsächlich die Chance dazu ergriff? Zu der Zeit, als ich die Wiener Hofreitschule besuchte, wurde die Arbeit dort in den Sozialen Medien diskutiert. Ich entschloss mich aufgrund der Empfehlung meines Bekannten trotzdem zu einem Besuch.
Früh aufstehen für eine Karte
Die Spanische Hofreitschule in Wien befindet sich im Michaelertrakt der Hofburg. Sie ist das einzige und letzte Reitinstitut der Welt, in welchem die klassische Reitkunst in reiner Form gelehrt und gepflegt wird. Auf der Tafel über dem Rundbogen des Reitereinganges ist zu lesen, dass sie „zum Unterricht und zur Übung der adeligen Jugend wie auch zur Ausbildung der Pferde für Kunstritt und Krieg“ errichtet wurde. Seit 2015 gehört die Spanische Hofreitschule zum immateriellen UNESCO Kulturerbe der Menschheit. Man kann sich Karten für das Morgentraining besorgen, sollte das aber rechtzeitig planen. Karten sind lange Zeit im Voraus ausverkauft. Ich habe Glück. Für meinen Ausflug habe ich den Wecker gestellt und stehe eine halbe Stunde vor Öffnung des Kartenschalters bereits an der Hofreitschule, um eine Karte zu ergattern. Damit bin ich nicht die Einzige. Mit einer Karte in der Hand nutze ich die Zeit bis zum Einlass für einen Milchkaffee und ein leckeres Croissant in einem Café um die Ecke. Um 11 Uhr ist es dann soweit.
Morgentraining im „Ballsaal“ für Pferde
Der Vorraum sieht eher aus wie im Theater: Informationstresen und geschäftige Mitarbeitende in gedämpfter Lautstärke. Dann geht es durch eine unscheinbare Tür und es kommt zum ‚Wow-Effekt‘. Ein Ballsaal für Pferde. Gigantische Kronleuchter befinden sich in der Mitte der Halle, die von einer Galerie umsäumt wird, auf der man auch Platz nehmen kann. Der Reitsaal, in dem das Training und die Vorführungen der Lipizzanerhengste der Spanischen Hofreitschule stattfinden, ist in gebrochenem Weiß gehalten, 58 m lang, 18 m breit, 17 m hoch und die Galerie wird von 46 korinthischen Säulen getragen. Ich bekomme allerdings einen Platz in der ersten Reihe (!) in der Hofloge, die zur Zeit der Habsburgermonarchie nur von Mitgliedern der kaiserlichen Familie und deren persönlichen Gästen benützt werden durfte.
Routine: Ein Gruß an Kaiser Karl VI
Nach und nach kommen die Reiter auf den Rücken ihrer Lipizzaner in die Halle und lüften zum Gruß ihre Kopfbedeckung in meine Richtung. Sitzt hier ein Promi? Nein. Hinter uns hängt das Bild Kaiser Karls VI, unter dem man 1729 mit dem Bau der Winterreitschule im Michaelertrakt begonnen hatte. Noch heute grüßen die Reiter beim Betreten sein Abbild. Gearbeitet wird nur mit Hengsten der Rasse Lipizzaner. Sie haben ihren Namen vom Dorf Lipica (italienisch Lipizza) im heutigen Slowenien. In dessen Nähe gründete 1580 Erzherzog Karl II. von Innerösterreich das Hofgestüt am Karst mit aus Spanien importierten Pferden.
Die erste Frau kam 2008 an die Wiener Hofreitschule
Das Training wird begleitet mit einer erklärenden Stimme aus Lautsprechern. Das finde ich schade. Es macht doch einen etwas kommerziellen Eindruck. Spannend finde ich, dass die Übungen in einem strengen Ablauf erfolgen und dass auch für mich als Laien erkennbar ist, dass es sowohl bei Ross als auch bei Reitern eine klare Rangfolge gibt. In dem Gefüge gibt es Oberbereiter, Bereiterinnen und Bereiter, Bereiteranwärterinnen und -anwärter sowie Lehrlinge. Erkennbar ist das am Verhalten und an der Kleidung. Da die Tiere in nur etwa zwei Meter Abstand an mir vorbeiflanieren, kann ich jeden sich bewegenden Muskel erkennen. Das erinnert mich an Ballettaufführungen, bei welchen ich in der ersten Reihe saß. Mich fasziniert das Spiel so sehr, dass ich mich völlig vertiefe in die ruhigen Abläufe. Die erste Frau in der traditionell geführten Schule war Bereiterin Hannah Zeitlhofer, sie kam 2008 an die Wiener Hofreitschule. Der Weg zum Bereiter/zur Bereiterin ist lang und die harte Ausbildung dauert etwa 10 Jahre. Ist man schlussendlich Bereiter, arbeitet man auch mit den zukünftigen Bereiteranwärtern zusammen und bildet diese aus.
Die Tradition wird mündlich überliefert
Auf der Website der Wiener Hofreitschule ist zu lesen: „Bis heute gilt es, die mündlich überlieferte Tradition der klassischen Reitkunst von Generation zu Generation weiterzugeben.“ Die Begriffe, die in der Welt der Spanischen Hofreitschule eine Rolle spielen, klingen sehr lyrisch. So nennt man Sprungfiguren wie die Kapriole „die Schule über der Erde“. Hannah Zeitlhofer gab der Frankfurter Allgemeine 2016 ein Interview, in welchem sie auf ihre Arbeit einging. Interessant fand ich ihre Abschlussworte. Sie sprach davon, dass das Bereiten nicht für das Publikum sei, sondern es werde beritten und die Leute dürften zuschauen. Das ist ein erheblicher Unterschied und zeigt auch, mit welchem Selbstverständnis diese Arbeit einhergeht.
Ruhiges Arbeiten ist hier Programm
Das war auch spürbar beim Zusehen, blendet man die Erklärtexte über Lautsprecher aus, hört man das leise Schnauben und die Hufe der Pferde bei der Arbeit. Jeder Ablauf geht mit einer Ruhe vor sich, die sich auch auf mich überträgt. Ein unruhiger Lipizzaner wird sofort, aber ohne Hast, beiseite genommen und mit Leckereien beruhigt. Schneller als gedacht ist die Morgenarbeit zu Ende und wir Zuschauer müssen die Halle verlassen.
Die Reitkunst der Wiener Hofreitschule ist nicht zu verwechseln mit Dressurreiten. Daran muss ich am Schluss im Zusammenhang mit dem Dressurreiter denken, der mir die Anregung für den Besuch der Wiener Hofreitschule gab. Interessant ist übrigens auch die Aufzucht der Pferde, darüber möchte ich auch noch mehr erfahren – ein andermal.