Wer an Wien denkt, denkt unweigerlich an den Zentralfriedhof im elften Gemeindebezirk Simmering, an Wolfgang Ambros‘ morbid angehauchten Liedtext über das Leben auf dem Wiener Zentralfriedhof und vielleicht auch an das Grab von Johann (Hans) Hölzel alias FALCO. Laut der offiziellen Website der Stadt Wien gibt es in Wien 55 Friedhöfe, 46 davon sind städtisch. Bei meinem ersten Besuch in Wien mit der ganzen Familie steht auch der Besuch des Zentralfriedhofs auf dem Plan. Die Anfahrt mit den Öffis aus der Innenstadt braucht ein bisschen Zeit. Es ist August und heiß. Das Friedhofsareal umfasst mehr als zwei Quadratkilometer, man muss also gut zu Fuß sein und möglichst gut behütet, den die Wege und Plätze sind oftmals so groß, dass die Bäume nicht alles beschatten können. Dass der Friedhof sich in einiger Entfernung zur Innenstadt befindet, hat seinen Grund. Die fünf Kommunalfriedhöfe waren zu klein geworden, deshalb beschloss der Gemeinderat in den mittleren 1860iger Jahren, einen Zentralfriedhof anzulegen. 1874 am 1. November wurde die Anlage offiziell eröffnet. Bezüglich der Wahl des Terrains herrschte unter den Entscheidern wohl nicht unbedingt Einigkeit.
Den Zentralfriedhof nur einmal zu besuchen und dabei alles zu erfassen, geht sich nicht aus, wie der Wiener zu sagen pflegt. Man wird mit dem Besichtigen nicht fertig. Er ist vielmehr ein Ort, an den man, solange man lebt, immer wieder zurückkehren kann, ohne dass es einem langweilig wird. Als erstes steht für mich und meine Familie der Kapellenhof mit der 1910 gebauten Kuppelkirche Zum Heiligen Karl Borromäus an. Bis 2000 nannte man die Kirche Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche, der Bürgermeister war kurz vor der Eröffnung der Kirche gestorben. Erbaut wurde die Kirche nach Entwürfen von Max Hegele. Läuft man in die Kirche hinein, muss man einfach den Kopf ganz weit in den Nacken strecken, um den ersten Wow-Effekt zu erzielen. Der mittlere Ring der Kuppel ist in einem klaren blau ausgekleidet, die Kuppel steckt voller liebevoller Detailarbeiten im Jugendstil.
FALCO, Supermax und wo ist Mozart?
Eine Attraktion des Friedhofs ist die Ehrengräberanlage, sie war eine Maßnahme, um die Besucherzahlen zu erhöhen, da ursprünglich die Anreise zu der von der Innenstadt doch recht weit entfernten Anlage vielen schlichtweg zu weit war. In die Ehrengräberanlage wurden die sterblichen Überreste einer Reihe prominenter Persönlichkeiten von anderen Wiener Friedhöfen verlegt, so zum Beispiel Ludwig van Beethoven. In etwa 300 Metern Entfernung findet man in der Gruppe 40 auf dem Ehrenhain das Grab von FALCO. Es wird immer noch rege besucht und man findet Kerzen, Briefe und weitere Utensilien, die Fans hier noch heute niederlegen. Läuft man um das Grab von FALCO herum, steht man vor dem Grab von Kurt Hauenstein. Der Musiker, Poet und Songwriter war bekannt unter dem Namen Supermax. Ein Hit der Pop-Ikone war „Lovemachine“. Heute ist der Song nicht (mehr) jedem geläufig. FALCO und Supermax liegen hier Kopf an Kopf, im Leben waren sie Freunde. Ebenso auf dem Zentralfriedhof steht in der Gruppe 32 A ein großes Grabdenkmal des Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart wurde nicht hier begraben. Er wurde bestattet auf dem St. Marxer Friedhof.
Ein anderes Jahr, wieder ein Besuch in Wien. Es ist April und ich nehme mir bei angenehmen 18 ˚˚ Celsius und Sonne einen Besuch des St. Marxer Friedhofs vor. Der Friedhof liegt im dritten Gemeindebezirk Landstraße. Er ist einer der fünf von Joseph dem II begründeten Kommunalfriedhöfe (die Vorläufer des Zentralfriedhofs) und der Einzige, der noch erhalten ist. Die Anreise von meinem Domizil ist nicht weit. Das Problem ist eher, den Friedhof zu finden. Er liegt mitten in einem Geflecht aus großen Straßen, ich muss mich erst durchfragen. Der Standort des Friedhofs ist anhand der auch aus der Ferne sichtbaren hohen, belaubten Bäumen auszumachen. Aber der Weg dorthin ist aufgrund des Straßengeflechts nicht einfach erkennbar. So laufe ich mehrfach in die falsche Richtung. Schließlich bewege ich mich mit Navi bewaffnet auf dem Gehweg unter einer riesigen Straße hindurch, die Brückenpfeiler sind geziert mit Graffiti. Linkerhand befindet sich dann endlich ein im Vergleich zum Zentralfriedhof unscheinbares Backsteintor mit angrenzender Backsteinfriedhofsmauer.
Ein Friedhof, der mich ganz besonders berührt: St. Marxer Friedhof
Gleich vorweg: Der St. Marxer Friedhof hat auf mich auf ganz besondere Wirkung. Von der Größe her ist er selbstverständlich nicht zu vergleichen mit dem Zentralfriedhof, aber die Stimmung, um die Wortwahl von Wolfgang Ambros aufzugreifen, fängt mich hier auf eigentümliche Weise ein. Bestattungen wurden hier zwischen 1784 und 1874 durchgeführt. Dann schlummerte der Friedhof erst mal einen Dornröschenschlaf. Derweil konnte er den Charakter eines Biedermeierfriedhofs bewahren und die ursprüngliche Gestalt blieb erhalten. Er wurde 1936/1937 instandgesetzt und im Oktober 1937 als eine Verbindung von Friedhof und Parkanlage geöffnet. Nach Beschuss im Zweiten Weltkrieg wurde er unter der Leitung des Wieners Hans Pemmer wiederhergestellt (Wiedereröffnung 21. Oktober 1945). Heute befindet sich in direkter Nähe die sogenannte Süd-Ost-Tangente. Das laute Gebrumme von PKWs und LKWs ist unüberhörbar. Trotzdem oder gerade, weil der Friedhof sich durch die urbane Hektik nicht verdrängen und aus der Ruhe bringe lässt, kann man hier wunderbar Ruhe tanken, auf einer der Parkbänke am Hauptweg oder in den vielen Seitenwegen, zwischen Ordnung und Unkraut, Rosen und kräftigem Baumbewuchs. Am Ende angelangt, schaut man über die Mauer auf eine Anlage von Wien Energie. Das passt. Dort die Infrastruktur, um das tobende Leben einer Großstadt in Gang zu halten, hier die Gräber, die Ruhe, das Unkraut, welches sich an manchen Grabsteinen ungehindert emporrankt. Und zum guten Schluss: Mozart.
Hier ruht Mozart
Fast wie in seinem Leben, hat auch die letzte Ruhestätte von Mozart etwas Revolutionäres. Denn Mozarts Leichnam wurde „nach der Einsegnung bei St. Stephan...in den Abendstunden des 6. Dezember 1791 auf den vor der Stadt liegenden St. Marxer Friedhof überführt. Die Beerdigung erfolgte entweder noch in den Nachtstunden oder, wahrscheinlicher, erst am Vormittag des nächsten Tages in einem ‚allgemeinen einfachen Grab‘…die mutmaßliche Begräbnisstätte wurde 1859 durch ein Grabdenkmal von Hans Gasser markiert (enthüllt 6. Dezember 1859), das 1891 auf den Zentralfriedhof (Ehrengräberhein Gr. 32 A) transferiert wurde. Erst 1899 wurde aus Grabsteinspolien in St. Marx ein schlichtes Grabdenkmal errichtet, das bald darauf um die signifikante geborstene Säule bereichert wurde…“ (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Mozart-Grab)
Ich freue mich, dass Mozart hiergeblieben ist. Es passt zu seiner Biografie, zu seinem Geist, der bereits zu seinen Lebzeiten gegen Konventionen aufbegehrt hat. Und eins ist sicher, ich besuche ihn wieder.