Wenn man in Wien an die wunderschönen Prachtbauten der Inneren Stadt und im ersten Bezirk denkt, fällt einem nicht unbedingt unmittelbar der Begriff „Rotes Wien“ ein. Die Innere Stadt wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Die Ringstraße zählt zu den prächtigsten Straßen Europas. Glanz und Glamour begleiten einen hier auf Schritt und Tritt. Was aber mindestens ebenso zu Wien gehört, sind die sogenannten Gemeindebauten. Man erkennt sie meist an Aufschriften, die an den Häuserfassaden angebracht sind und auch das Erbauungsjahr preisgeben.
Zwischen den beiden Weltkriegen begann die Zeit des Gemeindebaus. Hintergrund war eine katastrophale Wohnsituation für zwei Drittel der Menschen, die in Wien lebten. So beschloss die damals neu gewählte sozialdemokratische Stadtregierung Wiens in den Anfängen der 1920er Jahre, mehrere tausend Wohnungen zu bauen und legte damit den Grundstein für den Wiener Gemeindebau. Es ging darum, leistbaren Wohnraum zu schaffen. 1925 war der erste Gemeindebau bezugsfertig, der Metzleinstaler Hof. Die Wohnorte sollten auch die Lebensqualität steigern und es wurden deshalb soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Büchereien, Geschäftslokale und ärztliche Versorgungsmöglichkeiten integriert. Viel Wissenswertes über die Gemeindebauten erfährt man hier:
https://www.wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau.html
Beim ersten Besuch in der Stadt fallen die Gemeindebauten vielleicht nicht sofort auf. Kehrt man nach Wien zurück, richtet man irgendwann und irgendwo jedoch ganz sicher den Blick auf eine an vielen Hausfassaden und Wohnblöcken angebrachte Aufschrift „Erbaut von der Gemeinde Wien im Jahr …“.
Start mit einer Führung zu den Gemeindebauten
Bewusst habe ich mich das erste Mal 2022 mit den Wiener Gemeindebauten beschäftigt. In dem Jahr präsentierte die Internationale Bauausstellung Wien (IBA_Wien) vielfältige Projekte und es gab die Möglichkeit, an einer Führung durch „10 Jahrzehnte Wiener Gemeindebauten“ im 21. Gemeindebezirk Floridsdorf teilzunehmen. Gemeinsam mit rund 20 interessierten Wienern und Nichtwienern ließen wir uns vom Londoner und Wahlwiener Eugene Quinn quer durch den Bezirk führen. Nebenbei lernte ich, dass in Wien auch Gurken angebaut werden (das nur am Rande) und ganz viel über die Architektur der Gemeindebauten in den verschiedenen Erbauungszeiträumen. Wir sprachen hie und da mit Bewohnerinnen und Bewohnern und lernten so das Phänomen dieser Stadt besser kennen. Eine Seniorin mit Hund berichtete zum Beispiel, dass sich aus ihrer Sicht der soziale Zusammenhalt im Laufe der Jahre verändert hat: „Früher stand man mehr zusammen und traf sich auf dem Hof“. Der Tag war lehrreich und lang, am Ende taten meine Füße weh, mein Kopf war voll und besonders in Erinnerung hatte ich den Bieler Hof behalten. Er mutet mit einem rot gestrichenen Säulengang, einem schmucken Terrassenbalkon darüber und der Terrakotta-gelben Fassadenfarbe ein bisschen an wie ein spanisches Gebäude. Die Aufschrift an der Hausfassade gibt preis: „Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren 1926-1927 aus den Mitteln der Wohnbausteuer.“ Mit Hilfe der sogenannten Wohnbausteuer wurden zwischen 1923 und 1934 über 380 Gemeindebauten mit mehr als 64.000 neuen Wohnungen errichtet. Die Steuer traf alle Wohnungsbesitzer und war gestaffelt. Damit wurde ein Drittel der Wohnbaukosten gedeckt. Zurück zur Architektur: Der Bieler Hof ist auch berühmt aufgrund eines besonderen Treppenhauses, welches wir mit Eugene Quinn besichtigen und fotografieren durften (Foto).
Der "Wiener Waschsalon"
Mein Interesse an dem Thema war geweckt. Eine Wienerin gab mir Tipps, wie ich mich weiter mit dem Thema beschäftigen und so auch näheres über zum Beispiel die Finanzierung des frühen Gemeindebaus erfahren kann. Sie schickte mich in den „Wiener Waschsalon“. Der Waschsalon hat heute nicht mehr viel mit Wäsche und Waschmaschinen zu tun. Vielmehr gibt es dort seit 2010 eine Dauerausstellung über „Das rote Wien“ der ersten Republik im „Wiener Waschsalon“. Ganz eng damit verknüpft ist der kommunale Wohnungsbau. Um zum „Waschsalon Nr. 2“ in der Halteraugasse zu gelangen, fährt man am besten bis zum Bahnhof Heiligenstadt. Gegenüber ist der denkmalgeschützte Karl-Marx-Hof nicht zu übersehen. Die konkreten Ausstellungsöffnungszeiten erfährt man am besten über die Website
https://dasrotewien-waschsalon.at/startseite
Da der Waschsalon im Prinzip nur donnerstags, sonntags und feiertags geöffnet hat, und die Anfahrt doch ein Stück von der Innenstadt entfernt, ist es ratsam, sich vorher zu erkundigen.
Kurzfilme, viel Lesematerial und anschauliche Plakate führen durch die Zeit. Besonders toll fand ich eine Tafel, die zeigt, wo sich überall in Wien Gemeindebauten befinden und aus welcher Zeit diese stammen. Und man lernt vieles über die politische Geschichte Wiens, beginnend bei den Anfängen der ersten Republik.
Es gibt auch heute noch Führungen zu den Gemeindebauten. Mehr darüber findet sich auf der Website des „Wiener Waschsalons“.