Endlich wieder Wien. Ich hatte mir vorgenommen, mit der Kamera loszuziehen. Prater und Alberner Hafen stehen für heute auf dem Programm. Der Prater öffnet in der Sommerzeit um zehn. Ich will um acht dort sein - die Wiener Gelassenheit hat mich allerdings schon am ersten Tag erwischt. Gegen neun stehe ich endlich vor dem kleineren Riesenrad. Das Wetter ist perfekt, Sonne und Wolken wechseln sich ab.
Die Kulisse hinter der Kulisse
Ich kenne den Prater, wenn es hier kreischt, brummt und lacht. Jetzt herrscht eine fast meditative und gleichzeitig geschäftige Arbeitsruhe. An der einen Ecke streicht ein Mann eine Bude mit frischem Grün an, an der anderen Ecke hält ein Schausteller mit knallrotem Hut den Blick nach unten gesenkt und daddelt auf seinem Handy. Eine Würstelverkäuferin saust mit ihrem Fahrrad heran, schließt die Buden-Tür auf und zieht drinnen gemächlich die Rollläden hoch. Um die Ecke ein vertrautes Geräusch, eine Kettensäge - Baumkletterer bewegen sich an einer Allee behände durchs Geäst und erledigen den Baumschnitt. Ein paar Jogger rennen an mir vorbei. Ein Hundebesitzer, männlich, mittleren Alters, gut gekleidet, rennt seinem ausgebüxten Köter hinterher. Fantastisch, genau so hatte ich mir das gedacht. Ich wollte das Gesicht hinter dem Prater sehen und wissen, wie es sich vor dem Hype eines Rummel-Tages anfühlt, hier zu flanieren. Wer also mal die Kulisse hinter der Kulisse sucht, ist am Morgen vor den offiziellen Öffnungszeiten auf dem Prater genau richtig.
Nach einem leckeren Frühstück im Ponykarussell - das ist ein buntes Café voller Pflanzen mitten im Prater - mache ich mich auf den Weg an den Alberner Hafen. Egal, von wo aus man startet, die letzten Kilometer muss man mit dem Bus zurücklegen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß.
Woher soll i wissn, wanns ausstaign müssn
Ich fahre mit dem Bus von der Donau Marina ab. Da ich den Bus einmal wechseln muss, setze ich mich schon mal vorsorglich in Nähe des Busfahrers. Alles um mich herum quatscht laut - keine Chance die Ansagen der kommenden Haltestellen zu hören. Also frage ich den Busfahrer, wann meine Haltestelle dran ist. Der Wiener gilt ja im allgemeinen als grantig, unfreundlich und raunzend. Am besten, man raunzt also zurück. Der Busfahrer schaut mich kurz vorwurfsvoll an. Dann regnet es einen Schwall auf mich nieder, der in etwa so klingt: "I foar die Streckn das erste Moal. Woher soll i wissn, wann's ausstaign müssn. I kenn die Hoaltestelln no ned aswendig. Soagn's doch ainfach aine Adressn, Dann helf i waida." Ich übersetze das in etwa so: Ich fahre die Strecke heute das erste Mal. Woher soll ich wissen, wann welche Haltestelle kommt. Sagen Sie mir doch eine Adresse, wo Sie hinwollen, dann helfe ich Ihnen weiter. Ich: "Alberner Hafen". Er wiederholt im Prinzip den Teil eins. Ich nochmal: "Alberner Hafen". Fast flippt der Busfahrer jetzt aus: "Wolln's zum Friedhof?" Bevor ich jetzt darüber nachdenken kann, ob er den Alberner Friedhof oder den Friedhof der Namenlosen meint, ist Gott sei Dank eine Haltestelle in Sicht. Ich signalisiere, dass ich hier aussteige. Er hält mit quietschenden Reifen und ist offenkundig froh, mich loszuhaben.
Ist der Wiener wirklich grantig, wenn er raunzt?
Auf dem Weg zur nächsten Haltestelle, wundersamer Weise bin ich tatsächlich an der korrekten Haltestelle aus dem Bus, mache ich mir Gedanken über das Gespräch. Wiener haben schon eine gewisse Grundarroganz. Stuttgarter übrigens auch. Und Berliner? Na davon lieber ein andermal. "Meinen" Wiener Busfahrer fand ich raunzig, aber nicht grantig. Er war einfach sichtlich darüber genervt, dass er etwas nicht wusste.
Alberner Hafen und Friedhof der Namenlosen
Eine halbe Stunde stehe ich im Nirgendwo auf einer geschotterten Straßeneinbuchtung. Nur ein H Schild zeigt, dass hier eine offizielle Bushaltestelle ist. Autos und LKWs rauschen an mir vorbei, bis der Bus kommt. Etliche Haltestopps später lande ich am Alberner Hafen. Er liegt mitten am äußersten östlichen Ende Wiens, im 11. Wiener Gemeindebezirk Simmering - umgeben von den Donauauen. Geplant und errichtet worden war der Hafen in der NS-Zeit als Teil eines Donau-Großhafens. Über die Geschichte findet man im Online Magazin des Wienmuseums interessante Infos. Imposant anzusehen sind hier zum Beispiel vier riesengroße und ein etwas kleinerer Speicher, die laut Wienmuseum ab 1936 errichtet worden waren und allesamt auch über Luftschutzkeller verfüg(t)en. Läuft man an den Speichern vorbei, ist der Friedhof der Namenlosen nicht weit. In Anbetracht des Zentralfriedhofs oder des Marxer Friedhofs hatte ich mir ein großes Gelände vorgestellt. Aber der Friedhof (eigentlich zwei Friedhöfe, ein älterer und ein neuerer) ist eher wie ein beschaulicher, von Bäumen umrahmter Garten mit eine Vielzahl von Eisenkreuzen, bewacht von der Auferstehungskappelle. Hier ruhen Menschen, die bis etwa 1940 von der Donau angeschwemmt wurden und nicht mehr identifiziert werden konnten. Heute werden übrigens unbekannte Tote aus der Donau auf dem Zentralfriedhof bestattet.
Nach diesem ungewöhnlichen Ausflug beschließe ich, den Rest des Tag an der Alten Donau zu verbringen. Aber davon ein andermal.